Autarkie
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Autarkie
ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit eines Privathaushalts, einer Region oder eines Staates durch die vollständige oder teilweise Selbstversorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Etymologie
Rein sprachlich ist der allgemeine Begriff Autarkie entlehnt von altgriechisch autárkeia (αὐτάρκεια), dichterisch autarkía (αὐταρκία), sowie autárkēs (αὐτάρκης) „sich selbst genügend, ausreichende Mittel besitzend, unabhängig“, autós (αὐτός) „selbst, eigen“ und arké͞in (ἀρκεῖν) „abwehren, helfen, genügen, ausreichen“.
Zum einen wird die Autarkie als jener Zustand bezeichnet, in dem zum Beispiel der Mensch „sich selbst genügt“, also keines anderen Menschen mehr bedarf und von allen äußeren Gütern unabhängig ist. Zum anderen, diese Verwendung wird Aristoteles zugeschrieben, bezeichnet die Autarkie schlicht ein „genügendes Auskommen“ des Menschen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff auch konnotativ mit „zufrieden“ oder „sicher“ gleichgesetzt.
Das Adjektiv autark bedeutet, „auf niemandes Unterstützung oder Weisung angewiesen“ zu sein. Es kann unter anderem Personen, Organisationen oder Abteilungen in Unternehmen beschreiben, die eigenverantwortlich und selbst bestimmt handeln können, und findet Anwendung in der Biologie, in der Informatik, der Ökologie, der Psychologie und der Politik. Speziell bei Regionen und Ländern tritt der Aspekt wirtschaftlicher Unabhängigkeit in den Vordergrund.
In der heutigen Sprachverwendung wird der Begriff der Autarkie primär im wirtschaftlichen Kontext gebraucht und bringt dabei zumeist die materielle und ökonomische Unabhängigkeit eines Einzelnen, einer Gruppe oder eines Staates zum Ausdruck. Wirtschaftlich vollständig autark wäre ein Land, das alles selbst besitzt oder erzeugt, was es benötigt, oder das seinen Bedarf auf das beschränkt, was es selbst erzeugt. Unter diesen Aspekten beschreibt Autarkie einen Zustand der Selbstversorgung, in dem ein Land nicht mehr auf die Einfuhr oder die Ausfuhr von Waren angewiesen ist sowie auf sämtliche auswärtige finanzielle Transaktionen verzichten kann, in diesem Sinne also vollständige wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt hat.
Synonyme für autark sind: unabhängig, souverän, eigenständig, frei, selbständig, autonom, ungebunden.
Messung
Die Selbstversorgung mit bestimmten Produkten kann durch den Selbstversorgungsgrad gemessen werden. Diese volkswirtschaftliche Kennzahl stellt in einem Staat die Bruttoeigenerzeugung dem Verbrauch gegenüber. Bei Agrarprodukten spielt der Selbstversorgungsgrad eine große Rolle, weil diese das Grundbedürfnis auf Nahrung befriedigen, das nach Möglichkeit nicht durch Importe gedeckt werden soll. Er zeigt an, inwieweit das Ziel der Versorgungssicherheit erreicht ist. Allerdings weisen einige Agrarprodukte in vielen Industriestaaten einen Selbstversorgungsgrad von 100 % oder mehr auf. Hier besteht partielle Autarkie durch Selbstversorgung (Subsistenzwirtschaft). Mit dem Selbstversorgungsgrad ist der Agrarprotektionismus eng verbunden. Dieser hat auch zum Ziel, die Autarkie zu stärken.
Geschichte
Bereits im antiken Griechenland war die Autarkie ein zentraler Aspekt des politischen Denkens und nahe an den Bereichen der Politik und der Ökonomie angesiedelt. Herodot beschrieb das Wesen der Autarkie als ein „politisches Ideal“. Nach ihm solle das Territorium einer Polis vor allem im landwirtschaftlichen Bezug so ertragsreich sein, dass alle Bewohner eines Landes mit ausreichenden Gütern unabhängig versorgt und damit ernährt werden können. Für Aristoteles beruhte das gesamte politische System der Polis auf der Aufrechterhaltung der Autarkie, durch die ein Gemeinwesen erst möglich sein könne. Allerdings waren sich schon Herodot und Aristoteles darüber bewusst, dass vollständige Autarkie praktisch kaum zu realisieren ist und oft mit verschiedenen Einschränkungen einhergeht. Deshalb betonten beide Philosophen, dass sich Menschen mit dem zufriedengeben sollten, was sie erreichen können. Ziel müsse es stets sein, eine höchst mögliche wirtschaftliche Unabhängigkeit anzustreben. Gelinge das nicht, so führe dies zum Verlust der lokalen Selbstverwaltung und somit unweigerlich in eine Fremdherrschaft. Bei Platon ist die Autarkie ein Kennzeichnen des höchsten Wertes und das Hauptziel des idealen Staates. Der Mensch ist nach platonischer Ansicht nicht autark, kann aber indirekt zu einer gewissen Autarkie gelangen. Der eine Weg besteht darin, dass sich die einzelnen Menschen zur politischen Gemeinschaft zusammenschließen. Der andere Weg verlangt, dass der Mensch innerlich unabhängig wird von äußeren Lebensumständen, was nahezu unmöglich ist.
Im Gegensatz zur dominierenden Selbstversorgung im antiken Griechenland, prägte die florierende Wirtschaft im Römischen Reich und der damit verbundene Wohlstand ein bestens vernetzter Land- und Seehandel. Max Weber wie auch Hans Delbrück führten den Untergang Roms maßgeblich auf einen Rückfall in die autarke Naturalwirtschaft zurück. Ausgelöst durch die Bildung römisch-katholischer Gemeinden, entstanden Güter, Sprengel, später ganze Kirchenprovinzen, die zunehmend den Charakter eines autarken Herrschaftsgebildes annahmen. So war die monastische Autarkie unter anderem in Form eines Klostergartens bereits im 6. Jahrhundert in den Regula Benedicti fest vorgegeben. Letztlich führte die gezielt herbeigeführte Herauslösung aus der städtischen Wirtschaft und die Entkoppelung vom transnationalen Handel Schritt für Schritt in eine Autarkie, die zur Grundlage des mittelalterlichen Feudalsystems wurde. Armut, Bescheidenheit, Buße und Predigt waren die wesentlichen Elemente dieser Zeit. Das von der Kirche propagierte Armutsideal verbot fremde Einkünfte, so dass die Bevölkerung auf möglichst autarke eigene Höfe angewiesen war. Erst ab dem 13. Jahrhundert verloren die weitgehend autarken Grundherrschaften ihre vorherrschende Stellung, der städtische Markt und der länderübergreifende Handel mit seiner Geldwirtschaft begann in Europa das ökonomische Leben zu dominieren.
Eine nahezu vollständige Autarkie, verbunden mit gezieltem Isolationismus, starker Prosperität sowie hohem Lebensstandard und Bevölkerungswachstum, zeigt die Wirtschaftsgeschichte der Qing-Dynastie in China von etwa 1644 bis 1839 auf. Adam Smith bezeichnete 1776 in seinem Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen China als eines der „reichsten, fruchtbarsten, gewerbefleißigsten, kultiviertesten und wohlhabendsten Länder“ der Erde. Als Vorteil nannte er die Größe des Landes, seine Bodenschätze, vor allem aber den erfolgreich praktizierten chinesischen Binnenhandel. Dieser bewahre Menschen vor Hungersnöten und sei „das beste Mittel zur Milderung einer Verknappung und Teuerung unter den verschiedenen Provinzen eines Landes“. Da aber nicht jeder Staat über ähnliche Voraussetzungen verfügt, kam Smith zu dem Ergebnis, dass mittels Freihandel der „Mangel in dem einen Land durch den Überfluss in dem anderen“ leicht ausgeglichen werden könne. Dabei solle der betroffene Wirtschaftsraum seine Einfuhren auf Waren beschränken, die er selbst nicht herstellen oder produzieren kann. Adam Smith zeigte sich davon überzeugt, dass Freihandel nicht nur zu größerem Wohlstand führt, sondern auch das „Band der Freundschaft“ zwischen den Staaten herstellt.
Die Autarkie bezeichnete Adam Smith als eine Art von „Schutz gegenüber dem internationalen Handel“. In Verbindung mit dieser Aussage definierten britische Nationalökonomen später, dass „eine Wirtschaftspolitik der Autarkie darauf abziele, ein Land daran zu hindern, internationalen Handel zu betreiben“.[16] Diese Definition ist umstritten, da insbesondere die britische Wirtschaftsgeschichte nicht selten einen „einseitigen Freihandel“ aufweist. So versuchte das Vereinigte Königreich wiederholt das Britische Weltreich gegenüber dem Rest der Welt durch Schutzzölle oder geschlossene „Freihandelszonen“ abzuschirmen. Desgleichen bezeichnete Mahatma Gandhi den britischen Freihandel als einseitig, da er andere Länder in die Abhängigkeit britischer Exporte zwinge.[18] Tatsächlich blieben einige Ex-Kolonien des Folgekonstrukts Commonwealth of Nations bis weit in die 1970er Jahre hinein in erster Linie von Großbritannien abhängig.[19] Und auch heute verfolgen offizielle britische Regierungsvertreter im Zusammenhang mit dem Brexit die Vision eines „globalen Großbritanniens“ nebst geschlossener Freihandelszonen.
Ebenso beteiligen sich die Vereinigten Staaten seit der Präsidentschaft von Donald Trump nicht an der Fortentwicklung des Freihandelssystems, sie schließen keine Freihandelsabkommen und bemühen sich zudem um die Beendigung beziehungsweise Rückabwicklung getroffener multilateraler Vereinbarungen. Damit verfolgen die USA nach Ansicht verschiedener Wirtschaftsexperten eine Abschottungspolitik, verbunden mit dem Streben nach größerer wirtschaftlicher Autarkie, bei der Importe durch Zölle erschwert, jedoch Exporte teilweise erzwungen werden. Dabei sind die Handelskonflikte der USA mit China und der Europäischen Union von einer Lösung weit entfernt, im US-Wahlkampf 2020 sprach sich auch der Trump-Herausforderer Joe Biden für einen radikalen Protektionismus und für eine noch stärkere Abschottung des US-Binnenmarkts aus.
Deutschland
In Deutschland beschäftigten sich Ökonomen und Philosophen ebenfalls sehr früh mit der Autarkietheorie. Den Gedanken der wirtschaftlichen Selbstversorgung vertieften in umfangreichen Werken unter anderem List, Müller, Kant, Fichte, Hegel, Feuerbach, Treitschke, Mommsen, Marx.
Beispielsweise erwartete Immanuel Kant – als Zeitgenosse von Adam Smith – vom Ausbau internationaler Handelsbeziehungen ebenfalls eine Eindämmung des kriegerischen Konfliktverhaltens der Staaten: „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt.“[28] Allerdings war Kant kein Anhänger eines bedingungslosen Freihandels und betonte:
„Dem Staat muss das Recht der Verbote der Einfuhr zustehen, damit die Erwerbsmittel dem Untertanen zum Besten und nicht zum Vorteil der Auswärtigen und Aufmunterung des Fleißes anderer befördert werden, weil der Staat, ohne Wohlhabenheit des Volkes, nicht Kräfte genug besitzt, auswärtigen Feinden zu widerstehen und sich selbst als gemeines Wesen so nicht erhalten kann.“
Sinngemäß führte er in seinen Ausführungen Zum ewigen Frieden (1795) fort, dass der Staat zur Sicherung der Freiheit und Selbständigkeit seiner Bürger gestaltend in die wirtschaftliche Entwicklung eingreifen müsse. Dazu gehören, laut Kant, Maßnahmen, die geeignet sind, die technologische, organisatorische und wissenschaftliche Kompetenz eines Landes zu heben. So könne bei einem Entwicklungsdefizit die temporäre Abschottung des Binnenmarktes von Produkten aus dem Ausland zwingend erforderlich sein.
In seiner im Jahr 1800 publizierten Schrift Der geschlossene Handelsstaat entwarf Johann Gottlieb Fichte die Grundzüge eines autarken Nationalstaates. Grundlagen dieses Staates sind die Freiheit durch Vernunft sowie die wirtschaftliche und politische Autarkie. Den internationalen Handel beurteilte Fichte kritisch, da die Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen der verschiedenen Nationen zu einem „allgemeinen geheimen Handelskrieg“ führen. Dazu hielt er fest:
„Die wahre Ursache von Kriegen liegt im streitenden Handelsinteresse der Nationen. Es entsteht ein endloser Krieg aller im handelnden Publikum gegen alle, als Krieg zwischen Käufern und Verkäufern. Und dieser Krieg wird heftiger, ungerechter und in seinen Folgen gefährlicher, je mehr die Welt sich bevölkert. Die Produktion und die Künste [gemeint ist damit der technische Fortschritt] steigen und dadurch die in Umlauf kommende Ware an Menge und mit ihr das Bedürfnis aller sich vermehrt und vervielfältigt.“
Als Gegenmittel empfahl Fichte den geschlossenen Handelsstaat, dessen Regierung die eigene Nation gegen alle Einflüsse von außen abschirmt und mit einem vernünftigen Gleichmaß sowie mit strenger Gerechtigkeit herrscht. Unumgängliche Grundlage dieses Staates müsse die Fähigkeit zur Autarkie sein. Obwohl Fichtes Handelssystem eine gewisse Nähe zu sozialistischen Staatsutopien nicht abgesprochen werden kann, bleibt für ihn das private Eigentum unantastbar. Dieses private Eigentum begreift Fichte als existentielle Basis individueller Existenz, da ohne Eigentum keine Freiheit möglich sei. Außerdem muss bei seinen Überlegungen unbedingt berücksichtigt werden, dass Fichte unter Nationalismus keine Ideologie, sondern die Überwindung der deutschen Kleinstaaterei verstand.
Gleichermaßen untersuchte Adam Heinrich Müller, als Hauptvertreter der politischen Romantik, in seinem Werk Die Elemente der Staatskunst (1809) die geistigen Grundlagen von wirtschaftlich entwickelten Nationen, wie diese ihren Reichtum für alle Gesellschaftsschichten nutzbringend anwenden und eine gerechte Weltordnung erzeugen können. Zentral ist dabei seine Kritik am Liberalismus, der dem Gemeinwohl entgegenstehe. Adam Smiths Freihandelskonzept lehnte Müller ab und hob die „kräftigende Wirkung, die eine autarke Wirtschaft auf den Gemeinschaftssinn ausübt“ hervor.
Friedrich List schlug in seinem Hauptwerk Das nationale System der politischen Ökonomie (1841) als Reaktion auf die sich anbahnende britische Freihandelspolitik einen verstärkten Zollschutz junger und noch nicht weltmarkttauglicher Industrien gegenüber der übermächtigen britischen Konkurrenz vor. List war kein Gegner autarker Wirtschaftsformen, jedoch auch kein Feind transnationaler Verflechtungen. Er empfahl eine reichhaltige Mischung wirtschaftspolitischer Maßnahmen, mit denen nachholende Ökonomien ihre Stellung in der Weltwirtschaft optimieren können. Für Deutschland war List außerdem ein Vorkämpfer des 1834 geschaffenen Zollvereins. International einflussreich wurden seine Theorien lange nach seinem Tod für die Wachstumsstrategien von Entwicklungsländern.
Die heftigste Kritik am Freihandel liefert der Marxismus. Er versteht sich auch heute noch als klassische Gegentheorie zur liberalen Lehre und besagt, dass Freihandel abzulehnen ist, weil er die Freiheit des Kapitalverkehrs zur Grundlage hat. Ohne nationale Barrieren für das Kapital trete der Gegensatz zwischen den Klassen noch stärker hervor („gewissenlose Handelsfreiheit“). Zudem verschärfe der Freihandel die nationale und internationale Ungleichheit, was niemals friedensfördernd sein könne.[36] Zur Autarkie analysierte Karl Marx, dass kapitalistische Länder niemals autark sein können, da der Kapitalismus immer auf Expansion angewiesen ist. Deshalb sei „in einer internationalen Produktionsweise jeder Gedanke an das längerfristige Überleben einer autarken Wirtschaftsorganisation ein Hirngespinst“. Infolge dieser Ambivalenz haben kommunistische Bewegungen die Autarkie zu verschiedenen Zeiten als Ziel angenommen oder abgelehnt.
Deutsches Kaiserreich
Während des raschen Wirtschaftswachstums ab 1850 hatte sich die deutsche Wirtschaftsentwicklung von den Autarkiebestrebungen des Merkantilismus auf Laissez-faire und Internationalismus verlagert. Bismarck und mit ihm alle Deutschen Kaiser förderten den internationalen Handel. Bereits im April 1866 erklärte Georg Siemens, der bald die Deutsche Bank gründen sollte: „Seit wir nämlich durch Abschließung des franzözischen Handelsvertrages unsere ganze Handelspolitik geändert haben und in den Freihandel übergegangen sind, seit diesem Augenblick sind wir in das westeuropäische System übergegangen.“
Dass 1871 mitten in Europa ein wirtschaftlich starker, ein seinen kontinentalen Nachbarn überlegener großer Einheitsstaat entstand, bedeutete eine geopolitische Revolution. Die Mitte Europas war bis dahin immer staatlich fragmentiert gewesen. Innerhalb kürzester Zeit gelang es Deutschland, eine fundierte und erfolgreiche Wirtschaftspolitik weit über seine Grenzen hinaus zu führen. Dies war möglich geworden, weil sich das Deutsche Kaiserreich auf vielfältige Weise in die Weltwirtschaft einband. Die intensivsten Handels- und Finanzkontakte bestanden dabei mit anderen europäischen Ländern sowie den USA und hatten keinerlei imperialistische Bedeutung. Nach Großbritannien verfügte Deutschland bald über die größte Handelsflotte der Welt. Als Kapitalexporteur stand Deutschland hinter Großbritannien ebenfalls an zweiter Stelle. Seine Handelshäuser und Großkonzerne bauten Geschäftsbeziehungen in alle Welt auf. Deutschland war nicht nur Nutznießer, sondern aktiver Mitgestalter der großen wirtschaftlichen Globalisierungswelle vor dem Ersten Weltkrieg. Dieser entpuppte sich dann im Wesentlichen als Handelskrieg.
Nach der britischen Kriegserklärung vom 4. August 1914 verhängte Großbritannien gegenüber dem Deutschen Reich eine Seeblockade. Am 2. November 1914 erklärte die britische Admiralität die gesamte Nordsee zum Kriegsgebiet und legte für die neutrale Schifffahrt bestimmte Routen fest, um Schiffe leichter zur Kontrolle in englische Häfen zu zwingen. Mit militärischem und diplomatischem Druck wurden nahezu alle neutralen Staaten gezwungen, keinen Handel mit Deutschland zu treiben und die britische Kontrolle über den Seehandel zu akzeptieren. Die Seeblockade verstieß gegen das Völkerrecht, erwies sich aber als sehr wirksame und dauerhafte Waffe gegen die deutsche Wirtschaft und gegen die notleidende Bevölkerung, für die sie zur „Hungerblockade“ wurde. Auch nach dem Waffenstillstand von Compiègne im November 1918 setzten die Briten die Blockade fort.[41] Nach damals überwiegend vorherrschender Meinung wurde damit Deutschland gezwungen, eine Politik der Selbstversorgung einzuschlagen.
Weimarer Republik
Nicht zuletzt unter der Erfahrung der britischen Seeblockade knüpften nach 1918 Ökonomen, Politiker, Publizisten und Soziologen verschiedener politischer Couleur an das Konzept eines geschlossenen, autarken Wirtschaftsraums an. Dazu zählten unter anderem Max Weber, Werner Sombart, Karl Renner, Heinrich Braun, Edgar Jaffé, Robert Michels, Emil Lederer, Eduard Spranger, Robert Friedlaender-Prechtl, Ferdinand Fried.
So prägte beispielsweise zu dieser Zeit Max Weber in Anlehnung an Aristoteles die These „Autarkie des Oikos“, wonach ein geschlossener, selbstgenügsamer Großhaushalt keinen Markt benötigt. Oder Karl Renner, der bei seinen Autarkieüberlegungen zu dem Ergebnis kam: „Beinahe jedes Stück Erdfläche, selbst die Schneefelder der Eskimos, kann in völliger Isolierung noch Menschen nähren.“ Und Werner Sombart erhoffte sich die Überwindung des „ökonomischen Zeitalters“ durch eine starke Führerpersönlichkeit, wirtschaftliche Autarkie sowie die Hebung des Bauernstandes.
Erheblich dezimiert wurde die deutsche Wirtschaftskraft nach Kriegsende durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags. Deutschlands Industrieproduktion war 1919 auf den Stand von 1888 zurückgefallen. Das Deutsche Reich musste zahlreiche Gebiete abtreten und verlor dadurch 26 Prozent seiner Steinkohleförderung sowie 44 Prozent der Roheisen- und 38 Prozent der Stahlproduktion. Allein die Abtretung Elsass-Lothringens bedeutete den Verlust von 70 Prozent der gesamten deutschen Erzförderung. Die Landwirtschaft verlor insgesamt einen Flächenanteil von 14 Prozent.
Verschärfend auf die Autarkiedebatten wirkte sich zudem aus, dass Deutschland keinen uneingeschränkten Zugang zum Weltmarkt erhielt, seinen Markt öffnen, Zölle reduzieren und den Siegermächten einseitig die Meistbegünstigung einräumen musste. Dazu kamen enorme Reparationsforderungen, die größtenteils mit Waren oder in Devisen zu erbringen waren. Die Beschaffung ausreichender Devisen erwies sich infolge der handelspolitischen Beschränkungen als nahezu unmöglich, so dass bereits zur Zeit der Weimarer Republik das Erreichen einer größtmöglichen Autarkie eine der wichtigsten ökonomischen und politischen Herausforderungen darstellte.
Bei der Nahrungsmittelproduktion sollte dieses Ziel beispielsweise durch den vermehrten Gebrauch von Mineraldünger zur Ertragssteigerung realisiert werden. Während es für die Düngemittelindustrie möglich war, Stickstoff und Kalium im eigenen Land zu beziehen und herzustellen, musste Phosphat gegen Devisen importiert werden. Um dies zu vermeiden, begann die Forschung über die Pflanzenverfügbarkeit von Phosphat im Boden. Neben Feld- und Gefäßversuchen führten staatliche Institutionen gemeinsam mit der Industrie Laborversuche mit Bodenorganismen durch, um die landwirtschaftlichen Erträge zu steigern.[50] Garten- und Siedlungsplaner entwickelten Konzepte der „Selbstversorgung für Jedermann“. Diese besagten, dass jeder über ausreichend Gartenland verfügen müsse, um die für die eigene Ernährung notwendigen Lebensmittel anbauen zu können. Zudem wurden erfolgreich Konzepte zur Kreislaufwirtschaft und zu Anbaumethoden entwickelt, welche die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig verbesserten.
Auch auf anderen Gebieten, wie bei der Umwandlung von Kohle in synthetisches Benzin, setzten die Autarkiebestrebungen ein gewaltiges Innovationspotential frei. Von den zwischen 1919 und 1933 verliehenen 36 naturwissenschaftlichen Nobelpreisen ging jeder dritte an einen Forscher aus Deutschland. Zur Erhaltung und Förderung der Forschung wurde die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft gegründet. Der Staat trat dabei als Auftraggeber und Finanzier auch nichtstaatlicher Institutionen auf.
Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stellte der vom Reichstag eingerichtete „Enquete-Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft“ einen Trend zur zunehmenden Autarkie fest. So sank beispielsweise der Anteil der gesamten Agrareinfuhren von 21,9 % im Jahr 1925 bis auf 9,6 % im Jahr 1931. Der deutliche Anstieg der Selbstversorgung wurden vor allem den agrar- und handelspolitischen Maßnahmen zugeschrieben.
Spätestens nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise (1929) war das Thema Autarkie in Deutschland dann allgegenwärtig. Dabei waren antiliberale Wirtschaftstheorien und der Ruf nach Abschottung vom Welthandelssystem keineswegs ureigene Domänen nationalsozialistischer Programmatik. Für eine Totalautarkie setzten sich grundsätzlich alle konservativen Parteien ein. Eine prinzipiell radikale, tatsächlich aber abgemilderte Autarkie forderten die NSDAP, die VNR und die KVP. Die KPD strebte eine Vollautarkie mit geistig-kultureller Verselbständigung nach russischem Vorbild in einem Sowjetdeutschland an. Der Landbund, die DNVP, verschiedene Bauernparteien und auch die Bayerische Volkspartei wollten eine ökonomische Teilautarkie (Agrarautarkie, Währungsautarkie). Die DDP verneinte eine Wiederherstellung des „Manchesterliberalismus“, lehnte aber genauso wie das Zentrum, die DVP und die SPD vom Grundsatz her jegliche Autarkie ab.
Dessen ungeachtet unterstützten alle Kabinette der Weimarer Republik mittels Subventionen die Produktion heimischer Waren sowie die Forschung und Entwicklung von Ersatzstoffen. Die Subventionspolitik trat erstmals in der Weimarer Zeit in Erscheinung. Sie wurde als wichtiges sowie modernes Instrument der Wirtschaftspolitik betrachtet und systematisch in großem Maße genutzt. Hauptsächliche Nutznießer der Subventionen waren die Landwirtschaft, die Chemie und die Schwerindustrie. Der Zusammenbruch des Welthandels und die außenwirtschaftliche Entflechtung führten zu einer neuen Autarkiepolitik, die als Ausdruck einer breiten politischen Zeitströmung verstanden werden muss. In dieser dominierten aufgrund der Weltwirtschaftskrise, der hohen Arbeitslosigkeit, der Kapitalknappheit, der internationalen Kapitalverflechtung, der Zinslast und des Rückzugs vieler anderer Volkswirtschaften aus dem Welthandel ausschließlich wirtschaftliche Aspekte.
Vor diesem Hintergrund schränkte die Regierung Brüning durch mehrere Notverordnungen im Jahr 1932 den freien Kapitalverkehr ein. Verbunden mit der Erhebung einer Reichsfluchtsteuer wurde der gesamte Außenhandel auf eine Devisen-Zwangsbewirtschaftung umgestellt. Private Devisenbestände waren der Reichsbank anzuzeigen. Über zentrale Devisenstellen lenkte und kontrollierte fortan der Staat jede einzelne Firma, die Handel mit dem Ausland betrieb. Dies war jedoch kein deutscher Alleingang. Weltweit kristallisierten sich abgegrenzte Handelsblöcke heraus, wobei Großbritannien und Frankreich mit ihren Kolonien eigene Blöcke bildeten.
Neben dem Deutschen Reich führten noch 15 andere europäische und sieben außereuropäische Länder eine Devisenbewirtschaftung ein. Da in diesen Staaten nur wenige Devisen vorhanden waren, versuchten die Regierungen dieser Länder auf Grundlage bilateraler Verträge den Außenhandel ohne Devisen mittels direktem Warentausch abzuwickeln. Deutschland schloss bereits 1932 mit mehreren osteuropäischen Staaten sowie Österreich und Dänemark bilaterale Verrechnungsabkommen. Die Abwicklung erfolgte auf Basis eines Clearing-Verfahrens, bei dem die beiden beteiligten Länder den Wert der Außenhandelsgüter sich auf Clearingkonten gegenseitig gutschrieben und versuchten zu einem Ausgleich zu kommen. Mit diesen autarken Kompensationsgeschäften unterliefen die teilnehmenden Länder nicht nur das Meistbegünstigungsprinzip, sondern das gesamte Börsen-, Kredit- und Zinssystem insbesondere der britischen und US-amerikanischen Finanzoligarchie.