Suizidalität (Selbstmordgefährdung): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 21. März 2021, 11:31 Uhr

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Unter Suizidalität wird alles Erleben und Verhalten von Menschen verstanden, das den Tod anstrebt oder als mögliches Ergebnis in Kauf nimmt.

Dazu kann aktives Handeln gehören, aber auch passives Unterlassen ebenso wie andere Personen für sich selbst handeln zu lassen mit möglicher Todesfolge.

Wenn ein Mensch an Selbstmord denkt, soll überwiegend das unerträglich empfundene Leid beendet werden – nicht das Leben.

Selbstmordgedanken treten häufig bei psychischen Erkrankungen auf wie Depression, Psychose, Persönlichkeitsstörungen, Ängsten, posttraumatischer Belastungsstörung. Besonders in Krisensituationen kann die Belastung schnell als überwältigend empfunden werden.

Auch körperliche Erkrankungen können mit Selbstmordgefährdung einher gehen.

Suizidalität ist meistens eine vorübergehende Erkrankung, wenn die richtigen Maßnahmen ergriffen werden.

Zeichen, die auf Selbstmordgefahr hindeuten:

  • Gefühle von großer Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wertlosigkeit und Schuld
  • Keine Zukunftsvorstellungen
  • Zunehmender sozialer Rückzug, Verabschiedung von Menschen, Verschenken von Wertgegenständen, Regelung letzter Dinge (Testament, Versicherungen, Papiere)
  • Offene und verdeckte Ankündigungen von Suizid
  • Patient reagiert gereizt, aggressiv, unruhig, ängstlich oder panisch
  • Frühere Suizidversuche (wichtigster Risikofaktor!)
  • Drängende Suizidgedanken, konkrete Suizidpläne oder Vorbereitung suizidaler Handlungen

Wenn jemand von Selbstmord spricht, so sollte dies auf jeden Fall ernst genommen werden. Es muss dann weiter gefragt werden, wie konkret die Pläne sind (s.u.).

Falls die erkrankte Person nicht davon spricht, man selbst aber eine mögliche Selbstmordgefahr empfindet, ist es wichtig, dies anzusprechen. Die Angst ist unbegründet, jemanden dadurch erst auf Selbstmordgedanken zu bringen. Im Gegenteil, das direkte Ansprechen wird oft schon als entlastend empfunden, denn nun kann offen darüber geredet werden und die Person ist nicht mehr allein damit.

Dabei kann z.B. folgende Formulierung verwendet werden: „Geht es Ihnen so schlecht, dass sie daran gedacht haben, nicht mehr leben zu wollen?“

Falls dies bejaht wird, lautet die nächste Frage: „Haben Sie sich überlegt, wie Sie sich das Leben nehmen würden?“

Falls dies bejaht wird, wäre die nächste Frage: „Haben Sie sich schon die Tabletten/den Strick/die Waffe besorgt“ oder „haben Sie sich schon überlegt, wo Sie gegen eine Autobahnbrücke fahren würden" (jeweils an den geplanten Selbstmord angepasst).

Wenn alle diese Fragen mit „Ja“ beantwortet wurden, steht der Selbstmord kurz bevor, eine schützende Maßnahme dringend notwendig.

Empfohlene Maßnahmen:

  • Den Patienten nicht allein lassen und Selbstmordhandlungen verhindern, evtl. auch durch Festhalten.

Jemanden festzuhalten ist juristisch Freiheitsberaubung. Bei akuter Gefahr für das eigene oder fremdes Leben ist jedoch ein „Rechtfertigender Notstand“ eingetreten (§ 34 StGB). Auch kann man von einer „Mutmaßlichen Einwilligung“ in die Freiheitsberaubung ausgehen, die die Person geben würde, wenn sie sich nicht im Ausnahmezustand befände (§ 14 Strafrecht, allgem. Teil).

  • Bei dringender Selbstmordgefahr über den Notruf Hilfe anfordern. Sollte der Pat. Hilfe verweigern, kann er auch gegen seinen Willen behandelt werden. Dies erfordert die Einleitung eines Unterbringungsverfahrens. Die Rettungskräfte und die Leitstelle sind damit vertraut und können alles Erforderliche veranlassen
  • Versuchen, mit dem Patienten ins Gespräch zu kommen. Heraus finden, was er als so belastend empfindet, dass er nicht mehr weiterleben will
  • Beruhigend auf den Pat. einwirken, dabei aber nicht bagatellisieren. Ihm sagen, dass dieser furchtbare Zustand vorübergehen wird, auch wenn er sich das nicht vorstellen kann; dass er Hilfe bekommen wird, dass man ihn nicht allein lassen wird

Versorgungs-und Behandlungsmöglichkeiten im Katastrophenfall:

  • Pat. nicht allein lassen und daran hindern, seine Selbstmordpläne auszuführen
  • Rasierklingen, Messer, Gürtel, scharfe Waffen, Schnürsenkel usw. außer Reichweite bringen
  • Zeit nehmen und zum Patienten einen Gesprächszugang finden
  • Über die Konfliktsituation sprechen, die Probleme nicht bagatellisieren
  • Sobald der Pat. dazu in der Lage ist: versuchen, die Konflikte zu lösen.
  • Soweit möglich, den Pat. an den alltäglichen Arbeiten der Gruppe teilnehmen lassen
  • Kurzfristige Gabe von Lorazepam (Tavor) oder Diazepam (Valium). Beide Substanzen dürfen auf keinen Fall zusammen mit Alkohol genommen werden.

Lorazepam ist das Mittel der 1. Wahl. Es führt zu einem besseren und schnelleren Rückgang der inneren Anspannung und macht nicht ganz so schläfrig wie

Diazepam, das langsamer seine Wirkung entfaltet und eine sehr lange Zeit im Blut bleibt (die Hälfte der Substanz ist nach 72 Std. abgebaut). Wenn nichts anderes vorhanden ist, kann es aber auch gegeben werden.

Beide Substanzen kommen aus einer Gruppe und können eine erhebliche Abhängigkeit erzeugen, wenn sie länger gegeben werden. Möglichst bereits nach 3 Tagen die Dosis schrittweise verringern (Tavor um 0,5-1 mg alle 5 Tg., Diazepam um 2,5-5 mg alle 5 Tage)

Dosierung:

Lorazepam (Tavor): Bei sonst gesunden Menschen bis ca. 70 J. mindestens 1 mg zu Beginn, oft helfen aber erst 2,5 mg deutlich die innere Spannung zu reduzieren. Zur Wiederholung wird 3-4 x täglich 1 mg gegeben.

Bei Menschen im schlechten Allgemeinzustand, höheren Alters oder vieler Begleiterkrankungen beginnt man mit 0,25–0,5 mg Tavor. Zur Wiederholung gibt man 0,25-0,5 mg 2-3 x tgl.

Diazepam (Valium): Bei gesunden Menschen beginnt man mit 5-10 mg, je nach Erregungszustand. Es muss nicht mehrmals täglich gegeben werden, da es lange im Blut bleibt. Die Höchstdosis unter Katastrophenbedingungen ohne ärztliche Anleitung sollte 20 mg täglich betragen.

Älteren und körperlich kranken Menschen sollte man kein Diazepam geben ohne einen Arzt zu befragen. Sie könnten verwirrt werden. (Die Gefahr ist bei Tavor deutlich geringer).

Gelegentlich kommt es nach der Gabe von diesen Medikamenten zu einer paradoxen Reaktion. Statt zu einer Verringerung der Anspannung kommt es zu einer Steigerung und Unruhe, oft zusammen mit leichten bis schweren Verwirrungszuständen. Wenn möglich, frage man andere oder den suizidalen Patienten, ob sie so eine Reaktion schon einmal erlebt haben (z.B. nach einem Beruhigungsmittel vor einer Operation).

Ist so eine Reaktion schon einmal aufgetreten, sollte man diese Medikamente nicht verwenden, da die paradoxe Reaktion ziemlich sicher wieder auftritt.

Autorin: ChrisHamburg

Quelle: Leitlinie „Unipolare Depression“ der AWMF/DGPPN